Beim Wachwerden bietet sich mir vom Bett aus dieses Bild:
Jo, Leude, damit kann ich arbeiten!
Die Frage, wann ich aufstehe, hat sich damit erledigt und kurz darauf sitze ich schon beim Frühstück. Über meiner Karte brütend überlege ich, wohin ich heute fahre.
Der gut 1200 Meter hohe Kandel lockt mich und ich beschließe, der Honda ein paar schöne Serpentinen zu gönnen. Die Fahrt durch das Glottertal ist herrlich und vermutlich das Schönste, was ich bis zu diesem Zeitpunkt mit meinem Motorrad gefahren bin. Ich überlege ernsthaft, ob ich nicht einfach die restliche Zeit im Schwarzwald verbringen soll. Die Straße auf den Berg allerdings hat es in sich: sie ist streckenweise so rumpelig, dass ich immer wieder stehend fahre, um meinen unteren Rücken nicht allzusehr zu schinden. Ich bin froh, als ich endlich oben ankomme. Die Honda macht einiges mit, aber eine Enduro ist sie eben nicht, was sich vor allem bei den Federwegen bemerkbar macht, aua.

Ganz schön frisch ist es hier oben und nachdem ich den Blick, der heute allerdings nicht sehr weit reicht, ausgiebig genossen habe, verziehe ich mich in die Kandelhütte, um einen heißen Kakao zu trinken. In der Hütte scheine ich zunächst der einzige Gast zu sein und habe ein wenig das Gefühl, zu stören. Ich bekomme aber einen Kakao und weiter hinten in der großen Schankstube sitzt dann doch noch ein weiterer Gast; ein Wanderer offenbar, der in ein Buch vertieft ist.
Ich setze mich mit meinem Kakao ans Fenster und ruhe mich von der anstrengenden Fahrt auf den Berg aus. Abwechselnd schaue ich hinaus und auf meine Karte, um die ungefähre Weiterfahrt zu planen. Nach einer guten halben Stunde bin ich aufgewärmt und wieder fit und beschließe, Richtung Titisee weiterzufahren. Weil ich irgendein Ziel brauche und mir schon allein dieser Name als Kind großes Vergnügen bereitet hat.
Draußen bin ich mittlerweile nicht mehr alleine auf dem Parkplatz. Ein paar Radler (Respekt!) und etliche Wanderer stehen herum, trinken, fotografieren…. Ein älterer Herr sieht auf mein Kennzeichen und will wissen, ob ich tatsächlich aus Köln bin. Er sei nämlich schon mal da gewesen 🙂 . Dann fragt er netterweise, ob er ein Foto von mir machen soll. Klasse, wäre mir gar nicht eingefallen. Ich freue mich und drücke ihm mein iPhone in die Hand. Er bemerkt noch kurz, dass er sich mit der Technik nicht so auskenne:
Egal, ich freue mich, dass ich ein Bild von mir habe.
Wir plaudern noch ein Weilchen, bis es zu kalt wird. Da oben geht ein ordentlicher Wind! Ich fahre auf der anderen Seite des Berges wieder herunter und nehme während der Fahrt auf einmal merkwürdige Geräusche wahr, die vom Motor zu kommen scheinen. Mir fällt ein, dass ich schon beim Hochfahren ein paar Mal von irgendeinem ungewohntem Sound irritiert war. Jetzt höre ich eindeutig ein Rasseln, das langsam lauter zu werden scheint und zunehmend besorgniserregend klingt. Während ich so bergab rolle, lausche ich konzentriert dem Motor und habe absolut keine Ahnung, was los sein könnte. Die Straße ist auch bergab in teilweise schauerlichem Zustand und so fahre ich überhaupt nicht entspannt weiter und weiter hinunter, während ich mich gedanklich schon mit dem Abbruch der Reise wg. Motorschadens anzufreunden versuche. Momentan ist mir die Gegend noch zu einsam, um stehenzubleiben. Also fahre ich noch bis Titisee, wo das Rasseln mittlerweile in ein nicht mehr ignorierbares Scheppern übergegangen ist.
Ich habe das Gefühl, dass mir jeden Moment der Motor um die Ohren fliegt und halte bei Nieselregen irgendwo in einem unbelebt scheinenden Industriegebiet. Ich mache den Motor aus und überlege, wie es jetzt weitergeht.
Wegen des Regens stelle ich mich erst einmal unter das Vordach eines Fabrikgebäudes und plane in Gedanken die nächsten Schritte: Versicherung anrufen? (wenigstens habe ich einen Schutzbrief!), Heimfahrt organisieren….? Irgendwann, als die Honda abgekühlt ist und es nicht mehr so stark nieselt, schleiche ich noch einmal um sie herum und gucke sie mir genau an. Als könnte ich von außen sehen, was da im Motor kaputt ist – lächerlich. Ich hocke mich vor die rechte Seite und versuche mit den Augen in jeden Winkel des Motorrads zu kriechen. Keine Ahnung warum, aber irgendwann wackelt meine Hand auch am Krümmer herum und ich stelle verblüfft fest, dass dieser total locker ist! Jetzt schaue ich genau hin und sehe, dass bei einem der beiden Rohre die Schraubenmutter fehlt, die es am Zylinder festhält. Hat sich vermutlich auf der rumpeligen Bergstraße losvibriert, was mich im Nachhinein gar nicht wundert.
Ich bin schon mal sehr erleichtert, dass das Problem offenbar nicht ein defekter Motor ist. Und jetzt kommt die große Stunde des Steckschlüsselsatzes, den mein lieber Freund und Motorradpapst Olli mir vor der Fahrt geschenkt hat!
Nicht ohne die eindringliche Ermahnung, den auch mitzunehmen!! Und weil er so schön ist und perfekt unter die Sitzbank passt, habe ich das dann auch getan. Ich sehe mir die noch vorhandene Mutter am zweiten Rohr des Krümmers an und dann die drei Befestigungsmuttern der Sitzbank. Hmm, könnte passen. Außerdem hält die Sitzbank bestimmt auch mit nur zwei Muttern. Und tatsächlich – die Sitzbankmutter passt wie angegossen! Als ich sie festgezogen habe, mache ich den Motor an und bin hingerissen: er schnurrt, als sei nichts gewesen. Kein Scheppern mehr und überhaupt; nie hat ein Motor in meinen Ohren schöner geklungen.
Während der Rückfahrt nach Biederbach ist es abwechselnd regnerisch und sonnig. Ich ziehe zum ersten Mal die Regenkombi an und fühle mich großartig. Obwohl ich das Schrauben am Motorrad ja erst noch lernen will, halte ich mich zumindest während der nächsten Stunde schon für die größte Mechanikerin aller Zeiten. Ich fliege auf der jetzt wieder ganz normal brummenden Honda um die Kurven und bin irgendwann müde und sehr froh wieder in meinem kuscheligen Dorfgasthof.
Der Olli bekommt noch am gleichen Abend eine euphorische sms, in der ich versuche, alles so kurz wie möglich zu schildern und mich nochmal ergebenst für das schöne Werkzeug bedanke.